
Im April 1982 wird sich beim kolumbianischen Erstligaclub Millonarios FC sicher mehr als einer verwundert die Augen gerieben haben, als auf einer der Hauptversammlungen plötzlich ein Mann auftaucht. Was er verspricht, klingt geradezu unglaublich: Er sei bereit, die 250 Millionen Pesos Schulden, die den Verein drücken, aus eigener Tasche zu bezahlen. Zudem wolle er den bisherigen Eignern des Clubs ihre Anteile abkaufen, und zwar für drei mal so viel, wie sie eigentlich wert sind. Fingerdicke Goldketten, das Hemd lässig bis zum Bauch aufgeknöpft, tief ins Gesicht gezogener Strohhut, jeder bei Millonarios weiß damals, dass es sich bei dem Mann um niemand geringeren als Gonzalo Rodríguez Gacha handelt – seines Zeichens Drogenhändler und die rechte Hand von Pablo Escobar. „Der Mexikaner“, wie sie Gacha in Kolumbien wegen seiner dunklen Hautfarbe nennen, ist in den Jahren zuvor als Mitglied des Medellín-Kartells zu geradezu märchenhaftem Reichtum gelangt, wird auf der Forbes-Liste als einer der wohlhabendsten Männer der ganzen Welt aufgeführt.
Er verteilt Prämien – für besonders schöne Tore
Das Angebot eines solchen Mannes will, ja, kann man nicht ablehnen, denn der kolumbianische Fußball liegt Anfang der achtziger Jahre am Boden. Marode Infrastruktur, keine kontinental wettbewerbsfähigen Teams, keine potenten Sponsoren und fehlendes Interesse seitens des Volkes und der Medien. Männer wie Gacha verheißen für die finanziell im ganzen Land schwer angeschlagenen Vereine die Rettung – gerne lassen sich die Millonarios, Kolumbiens sportlich erfolgreichstes Team, von ihm retten. Andere Gangster wie Phanor Arizabaleta oder Miguel Rodríguez Orejuela kaufen sich Mannschaften wie Santa Fe oder América de Cali, die ehrenwerte Gesellschaft hat den Fußball als Mittel entdeckt, sich beim einfachen Mann beliebt zu machen. Ein Plan, der mehr als aufgeht: Spektakuläre Spielertransfers ziehen plötzlich wieder ein Massenpublikum an, während der Mexikaner und seine Komplizen die Vereine dazu nutzen, ihren Gewinn rein zu waschen. Der Ruf des Geldes lockt Veteranen wie Pedro Alberto Vivalda, José Daniel Van Tuyne, Juan Gilberto Funes, Marcelo Trobbiani und Mario Vanemerak zu den Millonarios – insgesamt 14 neue Spieler entlohnt Gacha mit einem fürstlichen Gehalt von bis zu 50.000 Dollar monatlich, inklusive Prämien für besonders schöne Tore.
Zu hunderten lädt „El Mexicano“ Freunde und Bekannte, aber auch Journalisten und Persönlichkeiten aus der Politik auf seine Finca Chihuahua in seinem Heimatdorf Pacho ein. Dort feiert er rauschende Feste und lässt seine Millonarios zum Spaß auf seinem eigenen Fußballplatz gegen Teams von anderen Capos antreten. Der ehemalige Spieler Carlos González Puche, heute leitender Verantwortlicher bei der Asociación Colombiana de Futbolistas Profesionales, erzählt Jahre später von einer solchen Begegnung: „Das ganze Dorf feierte uns damals, inklusive der Polizei, etwa 4000 Leute. Nach dem Spiel gab es eine riesige Party, obwohl wir 2:1 gegen Santa Fe verloren hatten. Wirklich jeder bekam etwas zu essen und zu trinken.“ Auch an sein Zusammentreffen mit Gacha erinnnert er sich genau: „Er war pummelig und von mittlerer Statur, mit einer riesigen Nase, und zwei schwer bewaffnete Männer begleiteten ihn zu jeder Zeit. Das war also der mysteriöse Mann, der Millonarios gekauft hatte, um sie wieder dorthin zu führen, wohin sie gehörten. Der Mann, der unsere Schulden bezahlt, Verstärkung eingekauft und die Gehälter erhöht hatte. Ich werde nie diesen Moment vergessen, in dem wir alle sehen konnten, dass der Drogenhandel sich den kolumbianischen Fußball einverleibt hatte.“
Diese Vermutung hat auch Justizminister Rodrigo Lara Bonilla, als er am 21. Oktober 1983 vor die kolumbianische Presse tritt und die Verflechtungen des Profifußball mit der Drogenmafia geißelt. Zu der Zeit sind Gangster wie Gacha auf dem absoluten Höhepunkt ihrer Macht, Pablo Escobar macht im kolumbianischen Kongress als Abgeordneter sogar ganz legal Politik. Was Bonilla dem kolumbianischen Volk da erzählt, gefällt „El Mexicano“ und seinen Komplizen ganz und gar nicht: „Die Proficlubs, die sich in der Hand von Personen befinden, die mit Drogengeschäften zu tun haben, sind Atlético Nacional, Millonarios, Santa Fe, Deportivo Independiente Medellín, América und Deportivo Pereira.“ Die Millonarios kommen auf eine schwarze Liste, Gacha zieht sich offiziell als Gönner zurück und überlässt das Geschäft Strohmännern und Familienangehörigen. Seine Antwort lässt jedoch nicht lange auf sich warten. Am 30. April 1984 wird Rodrigo Lara Bonilla von bezahlten Killern in seinem Auto erschossen.
Dem Schiedsrichter winkt er zu – mit Geldscheinen
Der Staat wiederum versucht, auf seine Weise zurückzuschlagen, Präsident Belisario Betancur beginnt mit Schauprozessen gegen einige der Fußball-Gangster wegen Drogenhandels und Geldwäsche. Die USA haben der kolumbianischen Regierung Hilfe im Kampf gegen die Drogenmafia zugesagt, und als Erster wird 1984 Hernán Botero, Präsident von Atlético Nacional, in die Vereinigten Staaten ausgeliefert. Die Liga sagt aus Protest am 15. November 1984 einen ganzen Spieltag ab – Botero war ein beliebter Exzentriker, der auch schon mal dadurch Schlagzeilen machte, dass er Schiedsrichtern während eines Spiels von der Ehrentribüne aus mit einem Bündel Geldscheine zuwinkte. Dem Volk ist die Aufregung um die Verflechtungen der Gangster mit dem Profifußball weitgehend egal, die Stadien sind wieder voll und auch der Erfolg kehrt zurück in den kolumbianischen Fußball. América de Cali, bis heute gemeinsam mit den Millonarios erfolgreichster Club des Landes, erreicht zwischen 1985 bis 1987 dreimal hintereinander das Finale der Copa Libertadores, die Medien berichten in der Hauptsendezeit über Themen rund um den Fußball. 1989 gewinnt mit Atlético Nacional zum ersten Mal überhaupt ein kolumbianisches Team die südamerikanische Champions League.
Die Narcos währenddessen entdecken, dass im Fußball auch neben der Geldwäsche ein Haufen Kohle steckt und steigen ins Wettgeschäft ein. Gachas Millonarios gewinnen 1987 und 1988 zwei Mal hintereinander die Meisterschaft und bleiben in der ersten Saison 22 Spiele ungeschlagen. In der darauffolgenden gleich 26. Hartnäckig halten sich die Gerüchte, man habe dafür das ein oder andere Mal Spieler oder Schiedsrichter bestochen: In einem Qualifikationsspiel für die Copa Libertadores gegen Santa Fe beispielsweise steht es 1:0 für die Millonarios, als Schiedsrichter Lorenzo López einen Elfer gegen „Millo“ pfeift. Jorge Taverna tritt für Santa Fe an und verschießt so jämmerlich, dass er nach dem Spiel Prügel von seinen Teamkollegen bezieht – und wahrscheinlich auch einen dicken Scheck von „El Mexicano“. In einer anderen Partie gibt Referee Ramiro Rivera einen Elfmeter für ein Foul, das mindestens drei Meter außerhalb des Strafraums stattfand – Gacha hatte Riveras Familie entführen lassen, um dem Glück der Millonarios etwas auf die Sprünge zu helfen. 1989 wird der Schiedsrichter Armando Pérez entführt und später mit einer Botschaft an seine Kollegen wieder frei gelassen: „Wer falsch pfeift, den bringen wir um!“ Der Unparteiische Álvaro Ortega wird Opfer dieser Drohungen, am 15. November 1989 wird er nach dem Spiel Millonarios gegen América de Cali ermordet. Der kolumbianische Fußballverband DIMAYOR sagt daraufhin zum ersten und bis heute einzigen Mal in seiner Geschichte die weitere Meisterschaft ab.
Die Narcos, vom Staat im Zuge solcher Ereignisse immer rigoroser verfolgt, erklären Obrigkeit und Politik einen Krieg, der 1988 allein in Medellín über 2500 Menschen das Leben kostet. Zwischen Juni und Dezember 1989 lassen Gacha und Escobar unzählige Polizeibeamte und Politiker umbringen, darunter den aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galán. In Redaktionen von Tageszeitungen, die über die Geschehnisse berichten, explodieren Bomben. Am 27. November 1989 sterben 111 Personen, als die Gangster ein Flugzeug der Linie Avianca in die Luft sprengen. Nur eine Woche später lassen in Bogotá 65 Menschen bei einem Bombenanschlag ihr Leben, über 600 werden verletzt. Der Staat setzte daraufhin eine Prämie von unfassbaren 500 Millionen Pesos auf die Köpfe von Gacha und Escobar aus – das Todesurteil für die beiden Gangster. Am 15. Dezember 1989 wird Gonzalo Rodríguez Gacha von 30 Eliteeinheiten der Polizei auf seiner Finca „El Tesoro“ gestellt und erschossen – sein eigener Sohn hatte die Beamten unfreiwillig zum Versteck seines Vaters geführt, außerdem wurde Gacha von einem Spitzel des verfeindeten Cali-Kartells verraten. Zu seiner Beerdigung kommen laut damaligen Medienberichten bis zu 15.000 Menschen – Gacha war beim Volk beliebt, besonders die arme Landbevölkerung hatte von seinen „Spenden“ häufig profitiert.
„Der kolumbianische Fußball hat sehr stark vom Drogenhandel profitiert.“
Die Millonarios vebleiben nach seinem Tod im Besitz seiner Familie, seine Frau Gladis Álvarez verkauft ihre Anteile schließlich 2001 an eine Investorenrige. Es beginnt schon nach der Ermordung von Gacha eine sportliche Leidenszeit, der Club steht mehrfach kurz vor der Pleite, befindet sich einige Zeit sogar unter der Direktive der mittlerweile aufgelösten Nationalen Rauschgift-Direktion (Dirección Nacional de Estupefacientes). Erst 2012 kann man endlich wieder an vergangene Zeiten anknüpfen, gewinnt zum insgesamt 14. Mal die kolumbianische Meisterschaft. Die sportliche Führung des Clubs unter Präsident Felipe Gaitán denkt im September 2012 eine Zeit lang offen darüber nach, die zwei Meistertitel „zurückzugeben“, die man unter der Führung von „El Mexicano“ errungen hatte. Der Anhang protestiert, die Millonarios-Ultras von „Blue Rain“ zeigen auch heute auf ihren Flaggen und Bannern gerne noch das Konterfeit von Gacha. Der kolumbianische Trainer Edgar Ospina versuchte unlängst zu erklären, wieso: „Die Spieler fingen an, den Fußball als einen Beruf zu sehen, der ihnen wirtschaftliche Unabhängigkeit und eine bessere Zukunft für sich und ihre Familien versprach. Der kolumbianische Fußball hat sehr stark vom Drogenhandel profitiert.“
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