Wer falsch pfeift, den bringen wir um!

November 2024 · 7 minute read

Im April 1982 wird sich beim kolum­bia­ni­schen Erst­li­ga­club Mil­lo­na­rios FC sicher mehr als einer ver­wun­dert die Augen gerieben haben, als auf einer der Haupt­ver­samm­lungen plötz­lich ein Mann auf­taucht. Was er ver­spricht, klingt gera­dezu unglaub­lich: Er sei bereit, die 250 Mil­lionen Pesos Schulden, die den Verein drü­cken, aus eigener Tasche zu bezahlen. Zudem wolle er den bis­he­rigen Eig­nern des Clubs ihre Anteile abkaufen, und zwar für drei mal so viel, wie sie eigent­lich wert sind. Fin­ger­dicke Gold­ketten, das Hemd lässig bis zum Bauch auf­ge­knöpft, tief ins Gesicht gezo­gener Strohhut, jeder bei Mil­lo­na­rios weiß damals, dass es sich bei dem Mann um nie­mand gerin­geren als Gon­zalo Rodrí­guez Gacha han­delt – seines Zei­chens Dro­gen­händler und die rechte Hand von Pablo Escobar. Der Mexi­kaner“, wie sie Gacha in Kolum­bien wegen seiner dunklen Haut­farbe nennen, ist in den Jahren zuvor als Mit­glied des Medellín-Kar­tells zu gera­dezu mär­chen­haftem Reichtum gelangt, wird auf der Forbes-Liste als einer der wohl­ha­bendsten Männer der ganzen Welt auf­ge­führt.

Er ver­teilt Prä­mien – für beson­ders schöne Tore

Das Angebot eines sol­chen Mannes will, ja, kann man nicht ablehnen, denn der kolum­bia­ni­sche Fuß­ball liegt Anfang der acht­ziger Jahre am Boden. Marode Infra­struktur, keine kon­ti­nental wett­be­werbs­fä­higen Teams, keine potenten Spon­soren und feh­lendes Inter­esse sei­tens des Volkes und der Medien. Männer wie Gacha ver­heißen für die finan­ziell im ganzen Land schwer ange­schla­genen Ver­eine die Ret­tung – gerne lassen sich die Mil­lo­na­rios, Kolum­biens sport­lich erfolg­reichstes Team, von ihm retten. Andere Gangster wie Phanor Arizaba­leta oder Miguel Rodrí­guez Ore­juela kaufen sich Mann­schaften wie Santa Fe oder Amé­rica de Cali, die ehren­werte Gesell­schaft hat den Fuß­ball als Mittel ent­deckt, sich beim ein­fa­chen Mann beliebt zu machen. Ein Plan, der mehr als auf­geht: Spek­ta­ku­läre Spie­ler­trans­fers ziehen plötz­lich wieder ein Mas­sen­pu­blikum an, wäh­rend der Mexi­kaner und seine Kom­plizen die Ver­eine dazu nutzen, ihren Gewinn rein zu waschen. Der Ruf des Geldes lockt Vete­ranen wie Pedro Alberto Vivalda, José Daniel Van Tuyne, Juan Gil­berto Funes, Mar­celo Trob­biani und Mario Vane­merak zu den Mil­lo­na­rios – ins­ge­samt 14 neue Spieler ent­lohnt Gacha mit einem fürst­li­chen Gehalt von bis zu 50.000 Dollar monat­lich, inklu­sive Prä­mien für beson­ders schöne Tore.

Zu hun­derten lädt El Mexi­cano“ Freunde und Bekannte, aber auch Jour­na­listen und Per­sön­lich­keiten aus der Politik auf seine Finca Chi­huahua in seinem Hei­mat­dorf Pacho ein. Dort feiert er rau­schende Feste und lässt seine Mil­lo­na­rios zum Spaß auf seinem eigenen Fuß­ball­platz gegen Teams von anderen Capos antreten. Der ehe­ma­lige Spieler Carlos Gon­zález Puche, heute lei­tender Ver­ant­wort­li­cher bei der Aso­cia­ción Colom­biana de Fut­bo­listas Pro­fe­sio­nales, erzählt Jahre später von einer sol­chen Begeg­nung: Das ganze Dorf fei­erte uns damals, inklu­sive der Polizei, etwa 4000 Leute. Nach dem Spiel gab es eine rie­sige Party, obwohl wir 2:1 gegen Santa Fe ver­loren hatten. Wirk­lich jeder bekam etwas zu essen und zu trinken.“ Auch an sein Zusam­men­treffen mit Gacha erinn­nert er sich genau: Er war pum­melig und von mitt­lerer Statur, mit einer rie­sigen Nase, und zwei schwer bewaff­nete Männer beglei­teten ihn zu jeder Zeit. Das war also der mys­te­riöse Mann, der Mil­lo­na­rios gekauft hatte, um sie wieder dorthin zu führen, wohin sie gehörten. Der Mann, der unsere Schulden bezahlt, Ver­stär­kung ein­ge­kauft und die Gehälter erhöht hatte. Ich werde nie diesen Moment ver­gessen, in dem wir alle sehen konnten, dass der Dro­gen­handel sich den kolum­bia­ni­schen Fuß­ball ein­ver­leibt hatte.“

Diese Ver­mu­tung hat auch Jus­tiz­mi­nister Rodrigo Lara Bonilla, als er am 21. Oktober 1983 vor die kolum­bia­ni­sche Presse tritt und die Ver­flech­tungen des Pro­fi­fuß­ball mit der Dro­gen­mafia gei­ßelt. Zu der Zeit sind Gangster wie Gacha auf dem abso­luten Höhe­punkt ihrer Macht, Pablo Escobar macht im kolum­bia­ni­schen Kon­gress als Abge­ord­neter sogar ganz legal Politik. Was Bonilla dem kolum­bia­ni­schen Volk da erzählt, gefällt El Mexi­cano“ und seinen Kom­plizen ganz und gar nicht: Die Pro­fi­clubs, die sich in der Hand von Per­sonen befinden, die mit Dro­gen­ge­schäften zu tun haben, sind Atlé­tico Nacional, Mil­lo­na­rios, Santa Fe, Depor­tivo Inde­pen­di­ente Medellín, Amé­rica und Depor­tivo Pereira.“ Die Mil­lo­na­rios kommen auf eine schwarze Liste, Gacha zieht sich offi­ziell als Gönner zurück und über­lässt das Geschäft Stroh­män­nern und Fami­li­en­an­ge­hö­rigen. Seine Ant­wort lässt jedoch nicht lange auf sich warten. Am 30. April 1984 wird Rodrigo Lara Bonilla von bezahlten Kil­lern in seinem Auto erschossen.

Dem Schieds­richter winkt er zu – mit Geld­scheinen

Der Staat wie­derum ver­sucht, auf seine Weise zurück­zu­schlagen, Prä­si­dent Beli­sario Betancur beginnt mit Schau­pro­zessen gegen einige der Fuß­ball-Gangster wegen Dro­gen­han­dels und Geld­wä­sche. Die USA haben der kolum­bia­ni­schen Regie­rung Hilfe im Kampf gegen die Dro­gen­mafia zuge­sagt, und als Erster wird 1984 Hernán Botero, Prä­si­dent von Atlé­tico Nacional, in die Ver­ei­nigten Staaten aus­ge­lie­fert. Die Liga sagt aus Pro­test am 15. November 1984 einen ganzen Spieltag ab – Botero war ein beliebter Exzen­triker, der auch schon mal dadurch Schlag­zeilen machte, dass er Schieds­rich­tern wäh­rend eines Spiels von der Ehren­tri­büne aus mit einem Bündel Geld­scheine zuwinkte. Dem Volk ist die Auf­re­gung um die Ver­flech­tungen der Gangster mit dem Pro­fi­fuß­ball weit­ge­hend egal, die Sta­dien sind wieder voll und auch der Erfolg kehrt zurück in den kolum­bia­ni­schen Fuß­ball. Amé­rica de Cali, bis heute gemeinsam mit den Mil­lo­na­rios erfolg­reichster Club des Landes, erreicht zwi­schen 1985 bis 1987 dreimal hin­ter­ein­ander das Finale der Copa Libert­adores, die Medien berichten in der Haupt­sen­de­zeit über Themen rund um den Fuß­ball. 1989 gewinnt mit Atlé­tico Nacional zum ersten Mal über­haupt ein kolum­bia­ni­sches Team die süd­ame­ri­ka­ni­sche Cham­pions League.

Die Narcos wäh­rend­dessen ent­de­cken, dass im Fuß­ball auch neben der Geld­wä­sche ein Haufen Kohle steckt und steigen ins Wett­ge­schäft ein. Gachas Mil­lo­na­rios gewinnen 1987 und 1988 zwei Mal hin­ter­ein­ander die Meis­ter­schaft und bleiben in der ersten Saison 22 Spiele unge­schlagen. In der dar­auf­fol­genden gleich 26. Hart­nä­ckig halten sich die Gerüchte, man habe dafür das ein oder andere Mal Spieler oder Schieds­richter besto­chen: In einem Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel für die Copa Libert­adores gegen Santa Fe bei­spiels­weise steht es 1:0 für die Mil­lo­na­rios, als Schieds­richter Lorenzo López einen Elfer gegen Millo“ pfeift. Jorge Taverna tritt für Santa Fe an und ver­schießt so jäm­mer­lich, dass er nach dem Spiel Prügel von seinen Team­kol­legen bezieht – und wahr­schein­lich auch einen dicken Scheck von El Mexi­cano“. In einer anderen Partie gibt Referee Ramiro Rivera einen Elf­meter für ein Foul, das min­des­tens drei Meter außer­halb des Straf­raums statt­fand – Gacha hatte Riveras Familie ent­führen lassen, um dem Glück der Mil­lo­na­rios etwas auf die Sprünge zu helfen. 1989 wird der Schieds­richter Armando Pérez ent­führt und später mit einer Bot­schaft an seine Kol­legen wieder frei gelassen: Wer falsch pfeift, den bringen wir um!“ Der Unpar­tei­ische Álvaro Ortega wird Opfer dieser Dro­hungen, am 15. November 1989 wird er nach dem Spiel Mil­lo­na­rios gegen Amé­rica de Cali ermordet. Der kolum­bia­ni­sche Fuß­ball­ver­band DIMAYOR sagt dar­aufhin zum ersten und bis heute ein­zigen Mal in seiner Geschichte die wei­tere Meis­ter­schaft ab.

Die Narcos, vom Staat im Zuge sol­cher Ereig­nisse immer rigo­roser ver­folgt, erklären Obrig­keit und Politik einen Krieg, der 1988 allein in Medellín über 2500 Men­schen das Leben kostet. Zwi­schen Juni und Dezember 1989 lassen Gacha und Escobar unzäh­lige Poli­zei­be­amte und Poli­tiker umbringen, dar­unter den aus­sichts­rei­chen Prä­si­dent­schafts­kan­di­daten Luis Carlos Galán. In Redak­tionen von Tages­zei­tungen, die über die Gescheh­nisse berichten, explo­dieren Bomben. Am 27. November 1989 sterben 111 Per­sonen, als die Gangster ein Flug­zeug der Linie Avi­anca in die Luft sprengen. Nur eine Woche später lassen in Bogotá 65 Men­schen bei einem Bom­ben­an­schlag ihr Leben, über 600 werden ver­letzt. Der Staat setzte dar­aufhin eine Prämie von unfass­baren 500 Mil­lionen Pesos auf die Köpfe von Gacha und Escobar aus – das Todes­ur­teil für die beiden Gangster. Am 15. Dezember 1989 wird Gon­zalo Rodrí­guez Gacha von 30 Eli­te­ein­heiten der Polizei auf seiner Finca El Tesoro“ gestellt und erschossen – sein eigener Sohn hatte die Beamten unfrei­willig zum Ver­steck seines Vaters geführt, außerdem wurde Gacha von einem Spitzel des ver­fein­deten Cali-Kar­tells ver­raten. Zu seiner Beer­di­gung kommen laut dama­ligen Medi­en­be­richten bis zu 15.000 Men­schen – Gacha war beim Volk beliebt, beson­ders die arme Land­be­völ­ke­rung hatte von seinen Spenden“ häufig pro­fi­tiert.

Der kolum­bia­ni­sche Fuß­ball hat sehr stark vom Dro­gen­handel pro­fi­tiert.“

Die Mil­lo­na­rios vebleiben nach seinem Tod im Besitz seiner Familie, seine Frau Gladis Álvarez ver­kauft ihre Anteile schließ­lich 2001 an eine Inves­to­ren­rige. Es beginnt schon nach der Ermor­dung von Gacha eine sport­liche Lei­dens­zeit, der Club steht mehr­fach kurz vor der Pleite, befindet sich einige Zeit sogar unter der Direk­tive der mitt­ler­weile auf­ge­lösten Natio­nalen Rausch­gift-Direk­tion (Dirección Nacional de Estu­pe­fa­ci­entes). Erst 2012 kann man end­lich wieder an ver­gan­gene Zeiten anknüpfen, gewinnt zum ins­ge­samt 14. Mal die kolum­bia­ni­sche Meis­ter­schaft. Die sport­liche Füh­rung des Clubs unter Prä­si­dent Felipe Gaitán denkt im Sep­tember 2012 eine Zeit lang offen dar­über nach, die zwei Meis­ter­titel zurück­zu­geben“, die man unter der Füh­rung von El Mexi­cano“ errungen hatte. Der Anhang pro­tes­tiert, die Mil­lo­na­rios-Ultras von Blue Rain“ zeigen auch heute auf ihren Flaggen und Ban­nern gerne noch das Kon­ter­feit von Gacha. Der kolum­bia­ni­sche Trainer Edgar Ospina ver­suchte unlängst zu erklären, wieso: Die Spieler fingen an, den Fuß­ball als einen Beruf zu sehen, der ihnen wirt­schaft­liche Unab­hän­gig­keit und eine bes­sere Zukunft für sich und ihre Fami­lien ver­sprach. Der kolum­bia­ni­sche Fuß­ball hat sehr stark vom Dro­gen­handel pro­fi­tiert.“

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